Fototour ⌘ Lost Places ⌘ Verlorene Orte: Das gescheiterte Projekt Rügenhafen und der Kanaldurchstich bei Glowe auf der Insel Rügen
Dieser Lost Place ist – wenn man seine Geschichte genauer betrachtet – gar keiner. Das Projekt RÜGENHAFEN zog sich mit Unterbrechungen von 1848 bis 1953 hin – mehr als 100 Jahre. An diesem rein militärisch motivierten Projekt bissen sich fünf deutsche Armeen ohne jeden Erfolg fest – die Gesamtdeutsche Kriegsmarine des Frankfurter Kongresses, die Preußische Kriegsflotte, die Kaiserliche Reichskriegsflotte, die Marine des Dritten Reiches und die Volksmarine der Deutschen Demokratischen Republik. Fertiggestellt wurde das Projekt niemals.
Nur noch wenige Reste dieses gigantischen Bauvorhabens sind heute noch in Teilen erhalten. Die verbliebenen Bauabschnitte wuchern unvermeidlich zu und sind heute nur noch in ihrem historischen Kontext überhaupt sichtbar. Wer einschlägiges Kartenmaterial studiert, kann östlich der Kleingartenanlage Rügenradio und des Baumarktes in Glowe ein paar kleinere Wasserflächen erkennen, die wie Perlen einer Kette aneinander gereiht sind. Das sind die Reste des geplanten Kanaldurchstiches von der Ostsee zum Großen Jasmunder Bodden.
Mit diesem Artikel möchte ich die Geschichte des Bauvorhabens RÜGENHAFEN konservieren und gleichzeitig einen bildlichen Eindruck der heute noch vorhandenen Anlagen aufzeigen. Die noch vorhandenen Objekte können nur während eines Spazierganges besichtigt werden. In diesem Blog wird auch deutlich gemacht, welche Umstände zum Scheitern diese Großprojektes im jeweiligen Zeitabschnitt geführt haben. Dieser Artikel ist etwas für diejenigen unter Euch, die sich wirklich und unvoreingenommen für Geschichte interessieren. Der Artikel ist umfangreich, deshalb habe ich ein Inhaltsverzeichnis zugefügt.
Strategische Ziele des Projektes Rügenhafen
Das Projekt Rügenhafen vor dem Ersten Weltkrieg
Die Anfänge des Projektes RÜGENHAFEN gingen auf das Ziel der Nationalversammlung in Frankfurt am Main 1848 zurück. Es wurde die Gründung einer durch alle deutschen Staaten gemeinsam betriebenen Reichskriegsflotte beschlossen. Während die politischen Verbindungen im Ostseeraum, insbesondere zum neutralen Schweden stabil und entspannt waren, wurde das benachbarte Dänemark als einer der wichtigsten Konkurrenten angesehen. Tatsächlich kam es auch 1864 zwischen den Alliierten Preußen und Österreich sowie Dänemark zum Deutsch-Dänischen Krieg um das Herzogtum Schleswig, das in Verbindung mit Holstein als deutscher Nationalstaat galt. Der Krieg war für die deutsche Kriegspartei siegreich und er gilt seitdem als einer der drei Einigungskriege.
Die Insel Rügen lag nahe zum Königreich Dänemark, hatte aber keinen eigenen Kriegshafen. So lag der Gedanke nahe, im nördlichen Teil der Insel einen militärisch nutzbaren geschützten Hafen zu errichten. Der Große Jasmunder Bodden mit seiner stark gegliederten und teils steilen Küste bot sich im Prinzip dafür an. Allerdings war Kleinstaaterei schon immer von Übel. Die beteiligten Staaten konnten sich damals nicht darüber einigen, wer auf dem geplanten Kriegshafen die Befehlsgewalt bekommen sollte. Auch die Finanzierung des Projektes war unklar. Die gemeinsame Kriegsflotte wurde 1852 wieder aufgelöst. Das Projekt Rügenhafen war vorerst beendet. Es wurde bis dahin kein einziger Spatenstich gemacht.
Damit wurde einmalige Chance auf eine Beherrschung des Ostseeraumes und von Kattegat und Skagerrak vertan. Alle deutschen Staaten hätten in Bezug auf den Überseehandel und ihre wirtschaftliche Entwicklung profitieren können. Preußen begann zunehmend, sich zu emanzipieren und sich um das Projekt eigenständig zu kümmern. Für das Kerngebiet von Preußen waren Kattegat und Skagerrak damals die einzigen Zugänge zur Nordsee. Preußens Kriegsflotte war seinerzeit in Danzig, dem heutigen Gdańsk in Polen stationiert. Eine Studie bescheinigte einem Kanaldurchstich an der schmalen Landzunge der Schaabe und einem Kriegshafen in Breege die Machbarkeit. Die Studie sah auch eine Eisenbahnverbindung zwischen Berlin und Breege vor.
Dieser Durchstich wäre nördlich der heute noch vorhandenen Kanalreste zwischen Glowe und Juliusruh entstanden. Es stellte aber sich bei genauerer Betrachtung heraus, dass die Studie oberflächlich durchgeführt wurde. Die Landzunge der Schaabe war zu flach, um heftige Sturmfluten abzuhalten. Tatsächlich war die Schaabe ja auch überhaupt erst durch eine Sturmflut erstanden. Der Strand in Breege war zu flach, um damals vorhandene Kriegsschiffe anlanden zu lassen. Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg war es möglich, die Deutsche Kriegsmarine nach Kiel zu verlegen. Das Projekt RÜGENHAFEN kam damit für einen langen Zeitraum zum Erliegen.
Das Projekt Rügenhafen in der Zeit des Dritten Reiches zwischen 1933 – 1945
Vizeadmiral Erich Raeder – das war sein Dienstgrad vor 1936 – war ein profunder und anerkannter Kenner der Kriegsführung mit schnellen und wendigen Kreuzern. Er konnte schon Anfang der 1930er Jahre die Befürworter der Rüstungswirtschaft für seine Idee dem Ausbau einer schlagkräftigen Kriegsmarine und der Errichtung eines Marinehafens auf der Insel Rügen gewinnen. Mit seinen Ideen war er erst einmal konträrer Meinung zu Adolf Hitler und den Thesen zur Aufrüstung der Marine. Aber bereits 1933 konnte Erich Räder den Führer Adolf Hitler von seinen Plänen überzeugen. Deutschlands Regierung hatte sich schon vor der Machtergreifung Hitlers gedanklich von den Auflagen des Versailler Vertrages getrennt und hatte ihn sowieso auf der Genfer Konferenz 1933 einseitig aufgekündigt. Raeders Pläne für die Aufrüstung der Marine spiegelten diese Gedanken zum Teil wieder.
Raeder war ein Freund von schnell agierenden Schlachtschiffen. Die U-Boote lagen ihm absolut nicht am Herzen, was ihn von Karl Dönitz als Befehlshaber der U-Boot-Flotte unterschied. Diese Haltung wurde für Raeder später zum Verhängnis. Er wurde von Hitler nach der Schlacht in der Barentssee in einem Vier-Augen-Augenspräch gedrängt, seinen Dienst ehrenvoll zu quittieren. Karl Dönitz wurde der Nachfolger von Raeder. Dönitz konnte mit seiner U-Boot-Flotte immerhin respektable Erfolge vorweisen – und im Gegensatz zu Raeder verstand er sich bestens mit dem Führer.
Das Projekt Rügenhafen in der Zeit der DDR von 1945 – 1953
Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) war bis zumindest zur Ära der Perestroika unter Mikhail Sergeyevich Gorbachev ein Satellitenstaat der jeweiligen Machthaber der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR). Besonders die Ära Stalin war prägend für den Aufbau der militaristisch geprägten Strukturen der DDR, auch wenn sich deren Offiziere bis zum Untergang des Staates schon mal eher reußischen Traditionen verpflichtet sahen. Schon 1950 gab es Bestrebungen zur Schaffung einer schlagkräftigen Kriegsmarine beider Staaten.
Für die Sowjetunion stand fest, dass die östlichen Gebiete der Ostsee komplett der westlichen Einflusszone erzogen werden mussten. Die sowjetische Einflusszone reichte von der Ostseeküste der DDR über Polen, den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland bis in das heutige St. Petersburg und die von Finnland gepachteten Ostseehäfen. Die Grenzziehung Stalins in der Ostsee und dem gesamten Ostblock bis zum Schwarzen Meer war genau ein Teil dessen, was ehemalige britische Premierminister Sir Winston Churchill 1946 treffend als Iron Courtain – den Eisernen Vorhang – bezeichnete.
Das prägende Zitat von Sir Winston Churchill
The Iron Courtain – Rede von Sir Winston Curchill, Westminster College, 5. März 1946:
From Stettin in the Baltic to Trieste in the Adriatic an Iron Curtain has descended across the continent. Behind that line lie all the capitals of the ancient states of Central and Eastern Europe. Warsaw, Berlin, Prague, Vienna, Budapest, Belgrade, Bucharest and Sofia; all these famous cities and the populations around them lie in what I must call the Soviet sphere, and all are subject, in one form or another, not only to Soviet influence but to a very high and in some cases increasing measure of control from Moscow.
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Ein offenes Wort vorweg
In diesem Artikel werden die Fotos vom begonnenen Durchstich in der Nähe des Königshorn am Strand von Glowe sowie Reste des Kanals gezeigt. Die Fotos entstanden Ende Juni und Mitte Juli 2022. Die gezeigten Orte sind nur zu Fuß erreichbar. Im eigenen Interesse solltet Ihr für einen Besuch zweckmäßige Kleidung tragen. Festes Schuhwerk und lange strapazierfähige Hosen sind hier ganz sicher von Vorteil. Wer empfindlich gegenüber den im Sommer zu Millionen in feuchten Wäldern vorkommenden stechenden Plagegeistern ist, liegt mit einem Insektenschutz richtig.
Man muss sich absolut im Klaren sein, dass man hier in der freien Natur unterwegs ist – mit Dornen, Steinen, Zecken und Mücken. Die Angaben zu den GeoLocations sind Anhaltspunkte. Die Küste verändert sich ständig. Mit den angegeben GeoKoordinaten sollte es dennoch keine Probleme mit der Auffindung der Orte geben. Parkplätze gibt es ausreichend am östlichen Ortsrand von Glowe vor dem ehemaligen Gelände von Rügen Radio (Hauptstraße – Rügen Radio – Am Kliff – Ostseehalle) und am Hafen (Am Königshörn). Diese Parkplätze sind kostenpflichtig.
Der Beginn des Durchstiches in der Nähe des Königshorn am Strand bei Glowe
Vollkommen unspektakulär ist der Beginn des Kanaldurchstiches östlich vom Königshörn am Strand von Glowe. Er lässt keinen Schluss auf die Bedeutung eines wichtigen Rüstungsprojektes zu. Vom Parkplatz am Hafen geht man etwa 1.550 Meter immer am Strand unterhalb des Steilufers entlang. Der Weg ist zwar zum größten Teil steinig oder an Abbruchkante auch kreidig, aber der Ausblick auf die immer präsente Ostsee und die Steilküste entschädigen für die Mühsal. Vom Beginn des Kanaldurchstiches ist zur Zeit nicht mehr als ein Wasserrinnsal und ein kleiner Teich hinter den ersten Baumreihen zu sehen. Das war es an dieser Stelle auch schon. Mehr ist hier vom einstmals ehrgeizigen Bauprojekt nicht übrig.
Impressionen vom begonnenen Kanaldurchstichs am Steilufer bei Glowe
Reste des Kanals bei Glowe
Impressionen von den verbliebenen Wasserflächen des Kanaldurchstichs bei Glowe
Fazit
Es gibt Projekte, die niemals fertiggestellt wurden und werden. Dazu gehört auch der RÜGENHAFEN. Am Ende lässt sich im Falle RÜGENHAFEN feststellen, dass es hier verschiedene Ursachen gab. Sie waren politischer, wirtschaftlicher und militärischer Art.
- Die Kleinstaaterei in Deutschland vor 1871 und die damit verbundenen ökonomischen und militärischen Befindlichkeiten ihrer Potentaten mussten zwangsläufig zu einem erstmaligen Scheitern dieses Projektes führen.
- Die Entwicklung der Preußischen Kriegsflotte vor dem Ersten Weltkrieg. Das Projekt war seiner damaligen politischen und militärischen oberflächlichen Betrachtung deutlich voraus.
- Der Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion im Jahre 1939 verhinderte den weiteren Ausbau des Projektes Rügenhafen während der Anfangsjahre des Zweiten Weltkrieges.
Als sich die Marine unter der Führung von Großadmiral Karl Dönitz 1944 entschloss, unter militärischen Druck der Alliierten das Projekt weiter zu treiben, war es bereits zu spät für den Aufbau des Hafens. - Technische Herausforderungen und die Ereignisse des Arbeiteraufstandes von 1953 verhinderten nochmals den Bau des RÜGENHAFENS. Im Juli 1953 wurde das Projekt endgültig und binnen nur weniger Tage auf Weisung der Regierung der DDR beendet. Es wurde seither nie wieder aufgenommen.
Was bis heute vom Kanaldurchstich übrig blieb
Übrig blieben bis heute nur wenige Reste des Kanaldurchstichs, die der aufmerksame Beobachter gerade noch wahrnehmen kann. Die Natur hat sich ihr Reich zurück erobert. In wenigen Jahren werden die Reste des Kanaldurchstichs bei Glowe restlos von Pflanzen überwuchert sein. Nichts vom einstmals ambitionierten Bauprojekt wird übrig bleiben, außer vielleicht ein paar Narben in der ansonsten romantisch wirkenden Landschaft östlich von Glowe. Wer die Reste des einstmals gigantischen Bauvorhabens von fünf Armeen noch sehen möchte, sollte dies jetzt tun.
Über den Autor dieses Artikels
Birk Karsten Ecke
¦¦ Ich interessiere mich für die Fotografie und die jüngere Geschichte Europas.
¦¦ Die Insel Rügen ist mein Lieblingsort in Deutschland.
¦¦ Meine bevorzugten Reiseziele sind die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen.